Wachstum als Katastrophe
Von Robert Lessmann
Ulrich Brand/ Markus Wissen: Kapitalismus am Limit. Öko-imperiale Spannungen, umkämpfte Krisenpolitik und solidarische Perspektiven
oekom Verlag, München 2024, 304 S., € 24
„Unsere These ist, dass die kapitalistische Produktionsweise und die damit verbundene imperiale Lebensweise die entscheidende Ursache dafür sind, dass die Menschheit die planetaren Grenzen überschreitet und sich in einen potenziell katastrophischen Bereich manövriert. Dies führt zu vielfältigen Konflikten, die die Krise potenziell noch verschärfen, in denen aber auch solidarische Alternativen aufscheinen.“ (S. 18) „Die Grenzen der liberalen Demokratie als eine dem Kapitalismus im globalen Norden lange Zeit adäquate politische Form zeichnen sich ab.“ (S. 21)
Für unsere Leser:innen ist der Politologe Ulrich Brand, der an der Universität Wien lehrt, kein Unbekannter. Im Gespräch schildert er, wie unmittelbar solche katastrophischen Verhältnisse bereits erfahrbar sind. Auf einer Lesereise nach Mexiko Stadt habe er die Luftqualität dort unlängst derart miserabel angetroffen, dass nicht nur er ständig Blut in den Atemwegen gehabt habe. Zusammen mit Markus Wissen (Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin) ist Brand eine Fortschreibung ihres Bestsellers „Die imperiale Lebensweise“ von 2017 und eine überzeugende Untermauerung ihrer oben zitierten Kernthese gelungen. Es ist demnach eben der Zwang zur Kapitalakkumulation, zu grenzenloser Expansion und Wachstum, der in die Krise führt. Bisher ist im Rahmen der imperialen Lebensweise eine Auslagerung der Kosten in den globalen Süden gelungen. Dafür werden die Räume jedoch enger. Nicht nur durch die fortgesetzte Expansion der Verwertungslogik, auch durch neue „Player“ wie China oder Indien.
Dass die neoliberale Marktwirtschaft durch technische Innovation die Klimakrise überwinden kann, glauben heute womöglich nicht einmal mehr deren Nutznießer. Fakten-, detail- und gedankenreich werden verschiedene wissenschaftliche Erklärungsansätze (z.B. Anthropozän, Erdsystemwissenschaften), Strategien (European Green Deal, Dekarbonisierung, nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit, Extraktivismus) und politische Phänomene (EU-Mercosur, autoritäre Regimes) diskutiert.
So wichtig einzelne Aspekte sind: Der „European Green Deal“, als staatsinterventionistische Abkehr vom Neoliberalismus, wird nicht ausreichen. Überzeugend legen Brand und Wissen die Kosten auch einer Dekarbonisierung dar, die selbst wiederum einen ungeheuren Verbrauch an endlichen Rohstoffen wie Aluminium, Lithium, Kobalt, Kupfer, Nickel erfordert. Die Systemlogik bringt es mit sich, dass sowohl die Knappheit an fossilen Energieträgern als auch die Umstellung auf Alternativen jeweils blendende Geschäfte ermöglichen. Die Profit- und Wachstumslogik muss aber überwunden werden, sonst münden vermeintliche Lösungen in eine Fortschreibung oder gar Verschärfung der Probleme.
Öko-imperiale Konflikte nehmen zu. Autoritäre Regime haben Konjunktur. Stärker kommt auch soziale Ungleichheit als ökologische Krisentreiberin in den Blick. Die imperiale Lebensweise verleitet zu Entsolidarisierung und die Schwäche der Linken ermöglicht es Rechtspopulisten, den Konflikt zwischen Unten und Oben in einen zwischen Innen und Außen umzudeuten. Autoritäre Scheinlösungen werden angepriesen und gewinnen an Unterstützung.
Der Ausweg heißt „degrowth“ und eine qualitativ andere Wirtschaft. Ansätze für einen Weg dorthin sind vielfältig. Die „solidarischen Perspektiven“ werden auf den letzten 30 Seiten nur kurz angerissen. Trotzdem: „Kapitalismus am Limit“ markiert den Stand der Debatte und ist Pflichtlektüre für jene, die an den zentralen Fragen unserer Zeit interessiert sind.