Als Kind allein über Grenzen

Von Robert Lessmann

Javier Zamora: Solito. Eine wahre Geschichte
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, 490 Seiten, € 27.50

Javier, ein neunjähriger Bub aus einem kleinen Ort in El Salvador, wird mit einem „Kojote“ (Schlepper) zu seinen Eltern in die USA geschickt. Der Vater war vor Jahren vor  dem Bürgerkrieg dorthin geflohen. Javier ist bei seinen Großeltern aufgewachsen. Nun ist er allein auf seiner siebenwöchigen Odyssee: „solito“.

Es ist die wahre Geschichte, wie sie der Autor im Jahr 1999 erlebte, und sie wird mit den Augen eines Kindes erzählt, das ständig Neues, Beängstigendes erlebt und versucht zu begreifen. Immer bestrebt, keine Fehler zu machen, sich nicht zu blamieren, mutig zu erscheinen. Kurze, schnelle Sätze schaffen Authentizität, Dramatik. Kursiv geschriebene spanische Wörter und Redewendungen als Einsprengsel im Text hätte man dazu nicht auch noch gebraucht. Auch wenn es am Ende ein Glossar gibt, sie stören nur den Lesefluss.

Es ist auch eine Geschichte von Einsamkeit, Vertrauen, Zuneigung und Solidarität. Ein junger Mann, eine Mutter mit Tochter: Aus der Not findet sich aus der Flüchtlingsgruppe heraus eine temporäre „Familie“, die mit Javier zusammen durch dick und dünn geht und sich am Ende wieder verliert. Ein Buch, das erfahrbar macht, wie sich Flucht und Migration für die anfühlen, die sie erleben müssen.

Nicht wenige Kommentatoren nennen die Geschichte zu recht herzzerreißend. Doch sie ist auch skandalös. Skandalös in der Hinsicht, dass die Situation heute, ein Vierteljahrhundert später, noch immer dieselbe ist und es noch immer Versuche gibt, aus dem Schicksal dieser Menschen politisches Kleingeld zu schlagen, statt sich um strukturelle Lösungen zu kümmern.