Sieg für Ecuadors Demokratie, oder droht ihr Ende?

Von Johannes M. Waldmüller


Noch am Abend der Stichwahl, in der am 13. April über die Präsidentschaft Ecuadors für die nächsten vier Jahre entschieden wurde, verkündete der Nationale Wahlrat das Ergebnis: Der bisherige Präsident Daniel Noboa hat mit 55,63 % der Stimmen überraschend klar gegen seine linke Herausforderin Luisa González mit 44,37 % gewonnen. Dem von González erhobenen Vorwurf des Wahlbetrugs widersprachen die internationalen Wahlbeobachter:innen (darunter auch der Autor dieses Beitrags) einhellig. Im Wahlkampf hingegen hat Noboa unfaire Mittel eingesetzt, allerdings haben auch eigene Fehler zur Niederlage von González beigetragen.

Am 11. April 2025, zwei Tage vor den Stichwahlen zur neuen Präsidentschaft Ecuadors und inmitten des gesetzlichen silencios der Wahlkampagnen, steht das Team der Partei des aktuellen Kandidaten und Präsidenten, Daniel Noboa Azín, der Acción Democrática Nacional (ADN – jede Ähnlichkeit mit dem Akronym des Kandidaten ist reiner Zufall) zusammen mit Mitarbeitern des Sozialministeriums (MIES) am Fischmarkt von Santo Domingo de los Tsáchilas und verteilt in bester Laune Küchengeschirr, Töpfe und Gutscheine an die Marktrestaurants. Kurz davor hatte der Noch-Präsident Noboa einen weiteren Ausnahmezustand für sieben Provinzen verhängt, rein zufällig darunter jene, wo seine Herausforderin, Luisa González, Correista und Vorsitzende der Revolución Ciudadana, in der ersten Wahlrunde gewonnen hatte. Es war der insgesamt 12. oder 13. Ausnahmezustand in den 1,5 Jahren seiner kurzen Amtszeit; wie viele genau weiß außer dem Verfassungsgerichtshof keiner mehr. Dieser liegt seit einiger Zeit mit Noboa im Clinch über die Inflation der Ausnahmezustände und die angesichts der zunehmenden Gewalt im Land verfehlte Sicherheitspolitik der harten Hand.

Der erneute Ausnahmezustand 24 Stunden vor den Wahlen bedeutet, dass diese 2. Wahlrunde in einer hochmilitarisierten Ausnahmesitutation abgehalten wird, da 1000e Militärs, darunter auch jede Menge Reservisten, dafür eingezogen wurden. Es sind dies die ersten Wahlen in Lateinamerika seit dem erneuten Machtantritt Donald Trumps, und die USA haben im geopolitischen Konflikt mit China großes Interesse daran, nicht nur ihre Militärbasis auf den Galapagos-Inseln zu halten, sondern auch die unter dem Langzeitpräsidenten Rafael Correa (2007-2017) geschlossene Militärbasis in Manta am Festland wieder in Betrieb zu nehmen.

Schach jenseits der Spielregeln

Die Szene am Fischmarkt ist gut belegt und symptomatisch: Daniel, der Spross des Bananenmagnaten Álvaro Noboa, selbst fünfmaliger Präsidentschaftskandidat und einer der reichsten Männer Lateinamerikas, bricht bewusst und voller Selbstvertrauen einmal mehr die Spielregeln des demokratischen Wettbewerbs. Er weiß, dass ihm nichts passieren wird. Die Gesundheitsbrigaden des MIES, also für die Armenviertel des Landes bestimmte öffentliche Ressourcen, begleiten ihn, den Kandidaten und seine Bewegung ADN schon seit Jänner 2025. Auch 518 Millionen US-Dollar an vor allem Staatsgeldern hat er bereits großzügig verteilt: Einmalzahlungen an Bauern, Arme und Opfer von Umweltkatastrophen kurz vor den Wahlen; 500 USD wenige Tage davor an alle Angehörige des Militärs und der Polizei.

Nach einem schmutzigen Wahlkampf gewann Daniel Noboa die Stichwahl überraschend klar; © Isaac Castillo, Pressebüro der Präsidentschaft

Daniel spielt mit den Institutionen und der ihm, dank Konsulposten in den USA an ihren Bruder, politisch nicht abgeneigten Chefin der Wahlbehörde Consejo Nacional Electoral (CNE). Unter fadenscheinigen legalistischen Argumenten ließ er sich erst gar nicht, wie von der Verfassung vorgesehen, vom Parlament als Kandidat für den Wahlkampf freistellen. Da es der Regierung gelang, seine eigene 2023 gewählte Vizepräsidentin rechtlich Schachmatt zu setzen – unter dem Vorwand, sie hätte Gendergewalt angewandt – gab es ja niemanden, der ihn während des Wahlkampfes vertreten könne. Durch diesen Schachzug wurde während des Wahlkampfs erstens seine Rolle permanent verwischt – einmal Kandidat, am nächsten Tag Präsident, dann doch wieder nicht – und überhaupt (angeblich) privat unterwegs bei seinem Treffen mit Trump in Florida gut zwei Wochen vor der Stichwahl.

Zweitens wurde es möglich, öffentliche Ressourcen für seine Kandidatur abzuzwacken, da ja die Rolle, in der er gerade auftrat, nicht klar war. Alles in allem ein äußerst schmutziger Wahlkampf auf einem sehr schiefen Spielbrett – den Daniel Noboa am 13. April, an einem unbestreitbar technisch sauberen Wahltag, vor den Augen Hunderter internationaler Beobachter (darunter dem Autor für die EU) gewann. Mitte Mai wird Noboa sein Amt für weitere vier Jahre antreten, und die Sorgen der Zivilgesellschaft sind groß, dass die extrem politisierte Militarisierung des Landes nun den Weg in eine Fassadendemokratie unter Trumps Gnaden oder sogar des offenen Autoritarismus bereiten könnte.

Wahlbetrug?

Besonders hervor sticht bei seinem Wahltrimph allerdings, wie deutlich der Sieg letztlich ausfiel, bei einer Wahlbeteiligung von 83,7 % (in Ecuador herrscht Wahlpflicht), nämlich mit 55,63 % der Stimmen für Noboa – noch deutlicher in beinahe allen Provinzen mit bedeutendem indigenem Bevölkerungsanteil – gegen 44,37 % für González. Dies bedeutet einen nur minimalen Zugewinn für González von rund 0,2 % zwischen erster und zweiter Wahlrunde, und das trotz eines zuvor geschmiedeten Paktes mit der Indigenenpartei Pachakutik, die in der 1. Runde rund 5,25 % der Stimmen geholt hatte, und deren Spitzenkandidat, Leonidas Iza, gerade noch Vierter (Dritter waren die Weiß-Wähler) geworden war. Dazu gab es kurz vor Ende des Wahlkampfes zur zweiten Wahlrunde noch einen weiteren Pakt von González, nämlich mit dem Rechtsaußen-Kandidaten Jan Topic, einem ehemaligen Kriegssöldner, der allerdings bereits Ende 2024 von Noboa – ein weiterer „rein zufälliger“ Schachzug – als potenzieller Herausforderer gar nicht erst zu den Wahlen zugelassen wurde.

In der Folge wurde es kurz nach den Wahlen laut: War Wahlbetrug im Spiel? Wurde die Stimmabgabe oder Auszählung getürkt, gar im großen Stil manipuliert? Die linksgerichtete kolumbianische und die mexikanische Regierung halten sich noch bedeckt, erwarten die volle Aufklärung, bevor sie den alten und neuen Präsidenten anerkennen. Der venezolanische Diktator, Maduro, das einmal mehr stets präsente Schreckgespenst im ecuadorianischen Wahlkampf, war gleich noch direkter: eindeutig Wahlbetrug und Noboa keinesfalls der Wahlgewinner. Auch die globale orthodoxe Linke – oder jene, die sich dafür halten – stimmte in den Chor mit ein. Doch diese Annahme trifft nicht zu, wie alle internationalen Wahlbeobachtungsmissionen – der OAS, der EU, des Mercosur, IPI, etc. – einstimmig und auf der Basis empirischer Massenbeobachtungen am Wahltag bestätigten. Womit sie letztlich auch Noboas schmutzigen Wahlkampf, trotz zahlreicher kritischer Beobachtungen und dringender Empfehlungen an die Behörden, reinwuschen.

Großveranstaltung der Noboa-Kampagne am 7. April im Coliseo des Instituto Tsáchila in Santo Domingo de los Tsáchilas; © Johannes Waldmüller

Um besser zu verstehen, was in Ecuador geschehen war – und damit auch eine wichtige Lesart für anstehende Prozesse in der Region und progressive Kräfte aufzuzeigen – ist eine tiefere Analyse notwendig, und diese hat mit sozialen Klassen, Demografie, Sicherheits- bzw. Stabiltitätsbedürfnissen, Konsumwünschen, aber auch tiefliegendem Rassismus und Verängstigung zu tun.

Jeder Generation ihre Ängste – und wie man damit Wahlen gewinnt

Denn jene Generation der heute Mitt-Zwanziger bis Mitt-Dreißiger, die mit dem Correismus aufgewachsen ist und dank öffentlicher Investitionen in Bildung- und Sozialstaat eine vergleichweise gute Ausbildung genossen hat, sehnt sich schon lange nach einer Änderung ihrer Möglichkeiten in  einem Land, in dem die Preise und Steuern (nicht zuletzt um Noboas Militarisierung zu finanzieren) in den letzten Jahren im Gegensatz zu den Einkommen deutlich gestiegen sind. Trotz seiner anfänglichen Erfolge steht der Correismus in seiner Präpotenz, seiner Kadertreue, seiner oftmaligen Weltabgewandtheit, seiner ausufernden Korruption (unvergessen jene über drei Mrd. USD, die nach dem Küsten-Erdbeben vom 16. April 2016 versickert sind[1]) und seinem Konservatismus in  gender- und identitätspolitischen Fragen in den Augen der unteren bis oberen Mittelschicht für empfundene Unfreiheit, für Zwang und überbordende Bürokratie und Staatsgewalt.

Noboa, selbst mit 37 Jahren jüngster Präsident der Geschichte des Landes, verstand es bereits bei den Wahlen 2023 und nun erneut, sich mit den Narrativen von jugendlichem Fortschritt und Freiheit insbesondere über die in Ecuador unreglementierten Sozialen Medien zu vermarkten. Mehr noch, ihm und seinem Team gelang es, Ideen von Zwang, Verklärung der Vergangenheit, Staatsmacht à la Venezuela und Ent-Dollarisierung des Landes klar mit Luisa González‘ Wahlkampf zu verknüpfen.[2] Das kurz vor der Stichwahl auf Russia Today ausgestrahlte Interview mit dem verurteilten und vor der Strafverfolgung flüchtigen Ex-Präsidenten Rafael Correa durch seinen Ex-Außenminister Ricardo Patiño erwies ihr zusätzlich einen Bärendienst.

Während die marginalisierten, ärmeren Schichten der barrios populares die Brandreden Luisas im Namen der sozialen und historischen Gerechtigkeit aufsogen, hatte sich im Land bereits längst das „neoliberalisierte Subjekt“[3] breitgemacht. Und hatte eine regelrechte Noboa-Mania losgetreten, in der seine schwachbrüstigen, inhaltsleeren vierminütigen Reden gefeiert und inszeniert wurden wie die eines Rockstars. Die Inszenierung und die Social Media-gerechte Bildsprache sind dabei bewusst wichtiger als die Inhalte. Und diese Anhänger, und insbesondere -innen der Noboa-Mania möchten ebenso trainiert, gutaussehend und selbstvermarktend efolgreich sein wie Noboa, der ecuadorianische Elon Musk, und seine blonde Frau Lavinia, die erfolgreichste Influencerin des Landes und Königin des asistencialismo, der Verteilung von Almosen an die Bedürftigen.

Großveranstaltung im Wahlkampf von Luisa González am 5. April im Parque Lineal Manuel Ramos, Santo Domingo de los Tsáchilas; © Johannes Waldmüller

Wenn ADN-Vertreter:innen auf der Bühne brüllen, den eigenen Konsum und Kapitalismus, Wachstum und Prosperität zu verteidigen, dann findet das abertausendfaches Gehör in der Mittel- und Oberschicht des Landes, die es geschickt verstand, ihre Ziele und Interessen den unteren, insbesondere ländlichen Schichten als die eigenen glaubhaft zu machen. Dazu kommen noch weitere Elemente: der Kampf gegen das Verbrechen und die Drogenkartelle – in die Noboas Bananenfirmen selbst verstrickt scheinen[4] –, aber auch die Militarisierung des Landes. Die landauf, landab gezeigten kriegerischen Spots der Regierung treffen auf einen regelrechten Kulturwandel seit dem Schwenk zu (stark) rechten Regierungen seit 2017 und insbesondere 2021 unter Guillermo Lasso, der selbst über Drogengeld-Wäsche stolperte.

Ecuador importiert heute Waffen für den Privatbesitz wie nie zuvor (darunter auch Steyr-AUG und Glock), Einfuhrzölle wurden 2023 drastisch gesenkt[5], Waffenbesitz stark liberalisiert und die private Sicherheitsindustrie boomt. Das Sicherheitsbedürfnis der ärmeren und ländlicheren Bevölkerung wird also durch Noboa und seine ADN gut bedient, der Rest der Widerspenstigen mit bonos verführt und gelockt. Der Versuch González‘, diese Strategie zu kopieren, scheiterte kläglich.[6] Dazu erwies sich nach den Aufständen der Indigenen und Studierenden von 2019 und 2022, mitsamt Plünderungen und Zerstörungen in den großen Städten, der Pakt zwischen der selbst zerstrittenen und gespaltenen Pachakutik und González als potenzieller Bumerang. Während die Indigenenbewegung und insbesondere Iza selbst durch zahlreiche Intellektuelle noch als noble Helden gefeiert werden, haben die Neoliberalisierung und Kapitalisierung vor den Indigenen nicht Halt gemacht. Iza, und damit die gesamte CONAIE, einst die stärkste Indigenenbewegung Lateinamerikas, scheinen nun, nicht zuletzt aufgrund des Paktes mit Luisa, der von weiten Teilen der CONAIE, aber auch anderen Indigenenbewegungen wie der FENOCIN gar nicht erst mitgetragen wurde, so geschwächt wie selten zuvor. Allerdings versprechen die Gelüste Noboas nach einer raschen, neuen und marktliberaleren Verfassung viel neues Protestpotenzial.

Man könnte also abschließend argumentieren, dass die Correistas unter Führung der bekennenden Evangelikalen Luisa González, mitsamt ihrer Ablehnung progressiver Genderpolitk und der weitgehenden Ausklammerung von Umwelt-und Klimapolitik (wie auch Noboa), wesentliche strategische Fehler begannen haben – und tatsächlich fehlen jene nicht, die von konservativer Seite sofort in diese Richtung drauf los analysieren.[7]

Aber tatsächlich ist das Problem weitreichender: Immer mehr und immer schneller setzen sich in Lateinamerika egozentrische Wahlmotive sowie Motive der Ablehnung bestimmter Modelle – die Wahl des kleinsten Übels – gegen positive, anerkennende Horizonte und Programmmotive bei Wahlen durch. Und das bei gleichzeitig immer weiter sinkender Zustimmung zur Demokratie in der Region insgesamt.[8] Dazu kommt noch, dass seit Correas Zeiten – also seit über zehn Jahren – kritische Stimmen auf linker Seite ungehört blieben, die eine dringende und tiefgreifende Reform des Wahlgesetzes sowie des Parteienwesens und der Kampagnenregelung einforderten. Über deren Ausbleiben ist González letztlich selbst gestolpert, da Noboa wegen jeder Menge Schlupflöcher zu einem guten Teil gar nicht erst ausreichend sanktioniert werden konnte.

Ecuador 2025 ist ein strahlendes Beispiel dafür, wie auf einem schiefen Spielfeld, unter kräftiger Mithilfe der Privatmedien und wesentlicher Staatsinstitutionen, Wahlen sehr problematisch ablaufen, ohne formalen Betrug begehen zu müssen. Und wie auch international letztlich nichts überbleibt, als das Wahlergebnis anzuerkennen. Damit einher geht eine Vertiefung der Polarisierung im Land, aber auch eine wachsende Bevölkerungsgruppe, die kein politisches Angebot und keine Möglichkeit zur Kanalisierung ihrer Anliegen (siehe Umweltschutz) mehr findet. Große Sorge bereitet, dass es darüber hinaus bedeutet zuzusehen, wie die Erde gut aufbereitet wird, um im nächsten Schritt die Demokratie selbst (weitgehend) zu entsorgen und den Ausnahmezustand permanent zu machen, während das verängstigte Volk dazu Beifall klatscht. Das ist ja z.B. auch in Bezug auf Europas Aufrüstungspläne nicht völlig unbekannt.


Dr, Johannes Waldmüller ist Gastforscher am Institut für Global Studies der Universität Genf sowie Lehrbeaufragter der Diplomatischen Akademie in Wien.

[1] Johannes M. Waldmüller und Nelson Nogales, La noche que tembló Ecuador. Reconstrucción, recuperación, prevención y resiliencia (Quito: Abya Yala & Fundación Rosa Luxemburg, 2022).

[2] https://www.expreso.ec/actualidad/elecciones-ecuador-2025-provoco-victoria-noboa-perdida-gonzalez-238895.html (18.04.2025).

[3] David Chandler und J. D. M. Reid, The neoliberal subject: Resilience, adaptation and vulnerability (London: Rowman & Littlefield, 2016)bzw. Trifonova (2024):https://www.eurac.edu/en/blogs/imagining-futures/fake-it-till-you-make-it-inventing-the-neoliberal-self (18.04.2025).

[4] https://revistaraya.com/familia-daniel-noboa-presidente-de-ecuador-trafico-de-cocaina-europa.html (18.04. 2025).

[5] https://www.la-razon.com/mundo/2023/01/10/ecuador-reducira-impuesto-de-300-a-30-para-importacion-de-armas/ (18.04.2025).

[6] https://planv.com.ec/ideas/la-victoria-de-noboa-entre-la-continuidad-y-el-cambio/ (17.04.2025).

[7] Z.B. https://www.primicias.ec/elecciones/ecuador2025/presidenciales/segunda-vuelta-electoral-luisa-gonzalez-errores-maduro-correa-93962/ (18.04.2025).

[8] https://dialogopolitico.org/agenda/recesion-democratica/ (17.04.2025).