Ralf Leonhard: Ein Meister zwischen den Welten
Von Leo Gabriel

© Erich Leonhard
Es ist einer der schwierigsten Texte in meinem Leben, den ich jetzt zu schreiben versuche. Denn Ralf war und ist nicht nur ein brillanter Journalist, nicht nur einer der loyalsten Compañeros, die ich je kennengelernt habe, sondern so etwas wie ein „alter Ego“, ein Spiegel, in dem ich mich 40 Jahre hindurch wiedergesehen habe.
Noch heute verfolgen mich die Bilder seines unfassbaren Todes in der Traisen wie in einem Film, den ich so gerne zurückspulen möchte, wobei die Tatsache, dass ihn sein Ende in Sekundenschnelle ereilte und er vermutlich nicht einmal die Zeit hatte, sich von diesem Leben zu verabschieden, ein schwacher Trost ist. Was würde ich nicht dafür geben, ihn noch einmal mit seinem ironischen Lächeln und seinem scharfsinnigen Blick in einer der 14-täglichen Sitzungen der IGLA (Informationsgruppe Lateinamerika) oder den allmorgendlichen Zusammenkünften in der APIA (Agencia Periodística de Información Alternativa) in Managua zu sehen, jener Presseagentur, die wir zusammen mit unserem lateinamerikanischen Team während 15 langer, und doch so kurzweiliger Jahre aufgebaut hatten?
Der Mensch hinter den Worten
Ralf war einer der solidarischsten Menschen, die ich je kennengelernt habe, der sich nie in den Vordergrund drängte. Oder wie es Helena Roux, die Fotografin in der APIA, in ihrem Abschiedsbrief kürzlich ausdrückte:
„Ralf war eine Kombination aus Strenge und Nachsicht, der seine ernsthafte Herangehensweise mit einem Talent für Spott, ja sogar für Selbstironie begleitete; ausgestattet mit einer Furchtlosigkeit, die er mit einer unveränderlichen Gelassenheit verband. Ich kann mich nicht erinnern, jemals Ralf schlecht gelaunt gesehen zu haben…“
Ralf war aber auch von einem manchmal kompromisslos wirkenden Sinn für Gerechtigkeit beseelt, wenn er seiner stets gut dokumentierten Kritik an den „heiligen Kühen“ der deutschen oder österreichischen Solidaritätsbewegungen in seinen unzähligen Artikeln Ausdruck verlieh. Und meist sollte er Recht behalten. Denn Ralf gehörte nicht zu jenen Journalisten, die wie ich das politische Ziel der Wahrheitsfindung voranstellten.
Vollblutjournalist und Überlebenskünstler
Dass er im wahrsten Sinn des Wortes ein „Vollblutjournalist“ war, zeigte sich auch nach seiner mit mir gemeinsam beschlossenen Rückkehr nach Österreich im Jahr 1996. Statt eine Fixanstellung in einer NGO oder als Universitätslehrer anzustreben, was ihm als Doktor Juris und Absolvent der Diplomatischen Akademie nicht schwer gefallen wäre, lebten er und seine fünfköpfige kolumbianisch/-nicaraguanische Familie bis zum Schluss von seinen Einkünften als freier Journalist, ohne dass ihm auf seiner jugendlich wirkendenden Stirn Sorgenfalten anzusehen gewesen wären. Aber wahrscheinlich hat ihm die in Lateinamerika durchaus übliche Erfahrung als „Überlebenskünstler“ dabei geholfen, sich von Artikel zu Artikel, von Radiosendung zu Radiosendung oder von einem befristeten Projekt zum anderen weiter zu hanteln.
In diesem Sinne war Ralf bis zu seinem Lebensende auch ein „Überlebenskünstler“, was ihm deshalb relativ leicht fiel, weil er die Gabe hatte, unglaublich rasch zu schreiben. Als wir zum Beispiel in der Redaktion unserer Zeitschrift LATEINAMERIKA ANDERS die Planung für die nächste Nummer diskutierten, passierte es immer wieder, dass Ralf einen Artikel zu dem einen oder anderen Thema entweder schon geschrieben hatte oder innerhalb weniger Tage lieferte, was mir und anderen Mitgliedern der Redaktion, die im Verzug waren, regelmäßig ein schlechtes Gewissen bereitete.
Dabei war es nicht nur die Quantität, sondern auch die journalistische Qualität seiner Arbeiten, die jedem Leser und jeder Leserin ins Auge stachen. So hatte der Schlussredakteur mit seinen Artikeln so gut wie nichts zu tun, denn diese waren gründlich recherchiert und immer tadellos formuliert.
Aber nicht nur deshalb wird uns Ralf Leonhard sehr fehlen, sei es in unserer Zeitschrift, in der Berliner TAZ oder mit seinen Journal Panoramas auf Ö1. Er wird uns allen, die wir ihn gekannt haben, als äußerst feinfühliger Mensch abgehen, dessen Freundschaft und Solidarität unersetzlich sind.