Ursula Prutsch: Leopoldine von Habsburg
Molden, Wien/Graz, 2022, S. 271, € 30.00
Leopoldine (22.1.1797 – 11.12.1826) gilt in Brasilien als eine der bedeutendsten Frauen des Landes und wird dort wie ein Popstar verehrt – Pflanzen, Schulen, eine Biersorte, sogar eine Sambaschule sind nach ihr benannt. Sie war weitaus mehr als nur eine weitere verkaufte Tochter der Habsburger oder Spielball geopolitischer Interessen: leidenschaftliche Naturforscherin und politische Vordenkerin. Sie emanzipierte sich von ihrem Vater, Kaiser Franz I. von Österreich, und Metternich. Leopoldine trug entscheidend zur Unabhängigkeit Brasiliens bei. Doch an der Auseinandersetzung mit ihrem Mann, Kaiser Dom Pedro I., ging sie zugrunde. Sie wurde nur 29 Jahre alt.
Das verspricht der Klappentext. Doch so wie Leopoldine „mehr war“, so ist auch das Buch mehr als eine Biografie. Die Historikerin Ursula Prutsch zeichnet hier nebenbei ein kenntnisreiches Sittenbild einer untergehenden Herrschaftsform in Europa und in den Kolonialreichen der Amerikas. Wir befinden uns im Nachklang der napoleonischen Kriege und des Wiener Kongresses. Und natürlich wurde Leopoldine zum Zwecke der Festigung der Macht „verhökert“, so wie ihre ältere Schwester an den großen Widersacher Napoleon verheiratet worden war. Strippenzieher war nicht ihr Vater, der Kaiser, sondern Metternich. Sie willigte ein, den portugiesischen Prinzregenten Pedro von Bragança zu heiraten, dessen Vater João sich in die eigene Kolonie abgesetzt hatte, weil es ihm in Europa politisch zu heiß geworden war. Was hätte die vielseitig interessierte, pflichtbewusste junge Frau auch sonst tun sollen? So landete sie in Brasilien, verheiratet mit einem kränklichen, hoffnungslos überforderten, aufbrausenden und zudem unmoralischen Ehemann. Sie widmete sich den Naturwissenschaften, ritt gegen alle Konventionen im Herrensattel aus. „Doch das brasilianische Hinterland, das mehrere tausend Kilometer nach Norden, Westen und Süden reichte, existierte nur in ihrer Vorstellung und in den Erzählungen der Naturforscher“ (S. 147).
Wie ihr Mann, dem sie intellektuell bei Weitem überlegen war, fand sie Gefallen an den Ideen der Aufklärung, die doch im Widerspruch zu ihrem Status standen. Die Amerikanische Revolution lag ein knappes halbes Jahrhundert zurück. In Südamerika kämpfte Simón Bolívar um die Unabhängigkeit. Und in der brasilianischen Sklavenhaltergesellschaft hatte man mehr als alles andere Angst vor einer Wiederholung der haitianischen Sklavenrevolution von 1791. Den beiden schwebte eine unabhängige, aufgeklärte, liberale Monarchie vor. Doch Dom Pedro war unfähig, das umzusetzen. Er war schließlich auf „Dienstreise“ – von der er eine weitere Nebenbuhlerin mit an den Hof brachte –, als Brasilien unabhängig wurde. Leopoldine moderierte den Übergang, besonnen, unaufgeregt, entschlossen und pflichtbewusst – und vermied die Republik. „Die Unabhängigkeit wurde durch eine Elite von Pflanzern, Händlern, hohen Beamten, Rechtsanwälten und Ärzten durchgesetzt. Die Oberschichten blieben dieselben, Sklaven blieben Sklaven. Indigene wurden als Teil der Natur betrachtet, nicht als Bürger“ (S. 183). Dom Pedro wurde Kaiser von Brasilien, doch als Kaiserin im Abseits ging Leopoldine an seiner Seite zugrunde.
Robert Lessmann