lateinamerika anders Nr. 4 * Nov. 2016

editorial

Migration ist das große Thema unserer Zeit. Nicht nur in Europa, wo Notverordnungen vorbereitet und Zäune hochgezogen werden. Lateinamerika ist immer schon Schauplatz großer Migrationsströme gewesen. Früher vor allem aus Europa in die boomenden Staaten des Cono Sur oder wohin auch immer, wenn man politischer Verfolgung entkommen wollte. Heute ist es die Armutsmigration, aber auch die Flucht vor Gewalt, die Menschen zu Zigtausenden Richtung USA treibt. Doch auch innerhalb des Subkontinents hat sich die Armutsund Arbeitsmigration in den vergangenen Jahren verstärkt. Rassismen und Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs werden dadurch genährt. In Mexiko und Zentralamerika konnte sich eine regelrechte Industrie der Menschenhändler etablieren, die aus der materiellen Zwangslage ihrer Opfer ein boomendes Geschäft macht.

Was in Mexiko passiert und was die Einwanderung für die USA bedeutet, hat Robert Lessmann in seinen Beiträgen anschaulich zusammengefasst. An den Beispielen Chile, Nicaragua und Mexiko versuchen wir aber auch schlaglichtartig die weniger bekannten Dramen, die sich in vielen Ländern abspielen, zu beleuchten.

Die hauchdünne Ablehnung des Friedensabkommens in Kolumbien hat viele schockiert und wohl die meisten unvorbereitet getroffen. Ex-Präsident Álvaro Uribe, die treibende Kraft hinter dem „Nein“, ist zu einer Schlüsselfigur geworden. Aber die Zivilgesellschaft, die vorher wohl unzureichend mobilisiert hat, ist jetzt auf der Straße und will den Kräften der Rechten nicht allein die Neuformulierung der zukünftigen Friedensordnung überlassen. Hintergründe und Reportagen aus verschiedenen Regionen Kolumbiens haben wir in der Schwerpunktnummer vom April gebracht. In diesem Heft daher nur der Versuch einer Analyse der jüngsten Ereignisse zwischen Plebiszit und Nobelpreis.

Besonders hingewiesen sei noch auf den ausgezeichneten Text von Jürgen Kreuzroither zu den Panama Papers, der erklärt, wie viele Staaten aus kurzsichtigem Eigennutz die Steuerumgehung begünstigen und sich damit ins eigene Fleisch schneiden.

Ralf Leonhard