Ausstellung: „Auf dem Rücken der Kamele“
Von Robert Lessmann
Das Zusammenleben mit Kamelen und Kameliden prägte und prägt Kulturen. Es bildet die Lebensgrundlage für Menschen in vielen Teilen der Welt und ist Teil deren kultureller Identität. Auch und gerade in den Anden. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat 2024 zum Internationalen Jahr der Kameliden erklärt. Im Rahmen seiner Ausstellung „Auf dem Rücken der Kamele“, die am 27. Februar eröffnet wurde, geht das Weltmuseum Wien den vielen Facetten des Zusammenlebens mit Dromedaren, Trampeltieren, Llamas und Alpacas nach.
Eine Welt
Schon die Heimat des Urkamels, das vor etwa sieben Millionen Jahren gelebt hat, verblüfft. Die Gegend um das Städtchen Dawson, knapp südlich des Polarkreises am Yukon gelegen, assoziiert man eher mit den Goldrauschgeschichten von Jack London als mit den „Wüstenschiffen“. Sie dürften über die zugefrorene Beringstraße nach Asien, Vorderasien und Nordafrika gewandert sein. Die Höcker dienten ursprünglich zur Speicherung von Fett. Heute sind Kamele mit ihren Wasserspeichern und den großen Füßen ideale Nutztiere in Wüstengegenden. Anspruchslos und ausdauernd dienen sie den Menschen als Fortbewegungsmittel, Tragtier, Lieferant für Milch, Fleisch und Hochqualitätswolle.
Das gilt so ähnlich auch für die kleineren und leichteren Verwandten, deren Vorgänger nach Süden gewandert sind: Das wilde Guanako, Vicuñas, Llamas und Alpacas. Guanakos leben im heutigen Ecuador, in Peru, Bolivien, Chile und Argentinien bis in Höhen von 4.000 Metern. Man nimmt an, dass es bereits im dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung domestiziert wurde, wobei das kleinere Alpaca wohl vom noch kleineren Vicuña abstammt.
Kolonialismus und Globalisierung
Die Briten brachten das Kamel nach Australien, wo eine wilde Kamelpopulation heute ein veritables ökologisches Problem darstellt. Napoleon benutzte es auf seinem Ägyptenfeldzug als militärisches Reittier. In Südamerika wurde das Guanako von den Conquistadores gnadenlos gejagt, wurden Kamelide durch das Pferd und die Kuh zurückgedrängt. Das Inkareich verfügte über ein 40.000 Kilometer umfassendes, großenteils gepflastertes Wegenetz. Dessen Herzstück, der Capac Ñan, verband die Hauptstadt des Reiches, Cusco, mit dem heutigen Quito im Norden und reichte im Süden wenigstens bis zum Titicaca-See. Mit bis zu 12 Metern Breite ist er heute noch aus der Luft erkennbar. Tambos und colcas, Rasthäuser und Vorratslager, ermöglichten kontrolliertes Reisen und schnelle Truppenbewegungen. Ohne dieses Transport- und Kommunikationsnetz ist das Großreich der Inkas schwer vorstellbar. Der Transport erfolgte mit Llamakarawanen, der von Expressgütern und Nachrichten per Botenläufer, sogenannten chasquis.
Die spanischen Eroberer waren verblüfft. Doch konnten sie damit nichts anfangen, denn es war für Fußgänger gebaut und für Llamas. Pferde rutschten mit ihren Hufen auf den Steinplatten und beschädigten sie. Kutschen konnten wegen der vielen Treppenstufen nicht darauf fahren. Als Fleischproduzent und Milchlieferant wurden Kühe eingeführt, doch das harte Ichu-Gras der Pampas können sie nicht verdauen. Unter anderem deshalb erlebt carne de alpaca heute eine Renaissance in der Andenküche. Für die Forschung sind Kamelide auch deshalb interessant, weil sie mehr Kräuter fressen, einen langsameren Stoffwechsel haben und daher weniger Methan freisetzen. Ihr Fleisch enthält weniger Cholesterin und ihre Milch weniger Fett, dafür mehr Vitamine, Eisen und Kalzium. Das kleinere und schlankere Vicuña war wegen seiner hochfeinen und wertvollen Wolle in den 1960er Jahren nahezu ausgerottet. Es ist heute durch das CITES-Artenschutzabkommen geschützt und lebt in Schutzgebieten und auf speziellen Zuchtstationen für die haute couture. Die Schur erfolgt alle zwei Jahre und ein Mantel aus Vicuña-Wolle liegt im fünfstelligen Bereich.
Aufmerksame Reisende wissen um die große Bedeutung der Kameliden in der andinen Kosmovision: Ein getrockneter Llamafötus gehört in jedes Fundament eines Neubaus. Der Eingang zum Minenstollen wird mit ihrem Blut eingestrichen und für die willancha, eines der höchsten Opfer, muss es ein weißes Llama sein. Mit einem Dokumentarfilmchen über die Tinca de Alpaca aus der Gegend von Arequipa im südlichen Peru legt die Ausstellung auch davon Zeugnis ab.
Möglicherweise Zukunftsmusik: Das Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften beschäftigt sich mit den herausragenden Eigenschaften des Immunsystems der Kamelide.
Sehenswert: Weltmuseum Wien, täglich außer Montag 10-18h. Es werden Sonderführungen und Kinderprogramme angeboten.