Von Andreas Teltscher
„La Vida o el capital.“ So einfach, so klar und so präzise hat es Franz Josef Hinkelammert formuliert. Er sagte „ Das Leben oder das Kapital“, aber er meinte das Leben oder „kollektiver Selbstmord“. Die quasireligiöse Verehrung des Marktes war für Hinkelammert der Weg in den „kollektiven Selbstmord“.
1931 in Emsdetten im Münsterland geboren, studierte er Wirtschaftswissenschaften und promovierte an der Freien Universität Berlin. In den 1960er Jahren ging er nach Chile und wurde ökonomischer Berater der Regierung Allende. Nach dem blutigen Putsch musste er zunächst 1973 nach Deutschland zurückkehren, um dann 1976 nach Costa Rica aufzubrechen.
Dort gründete er gemeinsam mit Pablo Richard, Hugo Assmann und anderen das Departamiento Ecuménico de Investigaciones (DEI) als interdisziplinär arbeitendes Forschungsinstitut der Befreiungstheologie. Die Bedeutung Hinkelammerts und des DEI für viele kritische und engagierte Befreiungstheolog:innen aus ganz Lateinamerika kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. „Seine wirtschaftlichen, philosophischen und theologischen Texte und Beiträge waren, sind und werden immer ein großer Beitrag zur Befreiungstheologie sein.“ So beschreibt der emeritierte Bischof der Iglesia Luterana Costarricense Melvin Jimenez die Bedeutung von Hinkelammert.
In seinen zahlreichen Arbeiten unterzog er die neoliberale Ökonomie und ihre Vertreter einer umfassenden, profunden und scharfsinnigen Kritik. Durch seine Analysen und Herausfiltern der Widersprüche werden die Muster des Denkens klar, die erklären, warum in Wissenschaft, Politik & Gesellschaft der Weg in den „kollektiven Selbstmord“ beschritten wird. In seinen Werken erarbeitet er Ansätze, um eine andere Arbeits-, Eigentums- und Geldordnung zu entwickeln.
Der moderne Mythos der Machbarkeit wird überwunden, indem das perfekte Zusammenleben der Menschen nicht mehr als abstraktes, zu verwirklichendes Ziel, sondern als Kriterium für alles Handeln angesehen wird. Die menschliche Emanzipation ist die leitende befreiende Vision.
Vor zwei Jahren veröffentlichte er sein letztes Werk „Die Dialektik und der Humanismus der Praxis: Mit Marx gegen den neoliberalen kollektiven Selbstmord“. Ein Alterswerk, das all seine Gedanken und Ideen noch einmal zusammenfasst: „Ich stelle daher die Forderung nach einer Alternative, ohne die das menschliche Leben möglicherweise nicht einmal über dieses Jahrhundert hinaus existieren wird. Die Suche nach solch einer Alternative ist also alternativlos.“
Und nochmal der emeritierte Bischof Jimenez über Hinkelammert: „Würdigen wir seine wertvollen Beiträge, indem wir dem Weg folgen, den er vorgezeichnet hat, damit eine andere Welt der Gerechtigkeit und Liebe möglich ist.“
Der Befreiungstheologe Franz Josef Hinkelammert ist am 16. Juli im Alter von 92 Jahren in San José, Costa Rica, gestorben.