Von Ralf Leonhard
Harte Hand gegen jugendliche Delinquenten oder Universitäten und Berufsaussichten? Bei der Lösung der sozialen Probleme sind schon viele Machthaber in Lateinamerika mit unterschiedlichen Ansätzen gescheitert. Mit großem Stolz präsentierte El Salvadors Präsident Nayib Bukele Anfang des Jahres das größte Gefängnis des Subkontinents, das zwischen 40.000 und 60.000 Häftlinge beherbergen soll. Gustavo Petro, der seit August vergangenen Jahres in Kolumbien regiert, fühlte sich dadurch provoziert und löste einen Twitter-Krieg aus.
Bukele verbreitete über seine Social Media-Kanäle ein Video, auf dem die neue Haftanstalt von Tecoluca im Stil einer Tourismuswerbung gepriesen wird. Im Bild sieht man dann kahlgeschorene junge Männer mit Tätowierungen, bekleidet mit weißen Shorts und Handschellen, die Köpfe gesenkt. Wie Vieh werden die mutmaßlichen Bandenmitglieder von den Wärtern zusammengetrieben.
In Kolumbien erntete das Video vor allem in den Reihen der Rechtspartei Centro Democrático von Ex-Präsident Álvaro Uribe großen Applaus. Der Abgeordnete José Jaime Uzcátegui fand es passend, Präsident Bukele nach Kolumbien einzuladen. Man wolle gemeinsam den Jahrestag des Referendums vom September 2016 feiern, bei dem das Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla abgelehnt wurde.
Das war für Präsident Petro ein Anlass, sich einzumischen. Als Schauplatz wählte er im Februar die Eröffnung des neuen Sitzes der Universidad Distrital in Bogotá. Er sprach von einem Konzentrationslager in El Salvador, wo tausende junge Burschen eingesperrt würden: „Da bekommt man eine Gänsehaut. Aber es gibt Leute, denen es gefällt, die Jugend im Gefängnis zu sehen.“ El Salvadors Präsident sei stolz, auf diese Weise die Mordrate halbiert zu haben und seine Beliebtheitswerte würden steigen. Für Petro sind das Szenen, die an Dantes Inferno erinnern: „Wir haben in Kolumbien das Gleiche erreicht, obwohl die Medien das nicht anerkennen. Auch wir haben die Mordrate, die Verbrechen und die Gewalt reduziert. Aber nicht durch Gefängnisse, sondern durch Universitäten, Schulen, Dialogräume, damit die Armen nicht arm bleiben.“
Obwohl diese Botschaft nach innen gerichtet war, an die kolumbianische Öffentlichkeit und die rechte Opposition, fühlte sich Nayib Bukele provoziert. Der 41jährige Unternehmerspross, der am liebsten über Twitter kommuniziert, ließ mit einer Antwort nicht auf sich warten: „Herr Gustavo Petro, die Ergebnisse wiegen schwerer als die Worte. Ich würde mir wünschen, dass auch Kolumbien seine Mordraten wirklich senken könnte, wie wir es in El Salvador getan haben. Gott schütze Sie.“
„Von 90 Tötungsdelikten pro 100.000 Einwohner in Bogotá im Jahr 1993 sind wir jetzt bei drei pro 100.000 im Jahr 2022“, antwortete Petro umgehend: „Wir haben keine Gefängnisse gebaut, sondern Universitäten. Es wäre gut, die Erfahrungen zu vergleichen. Ich schlage ein internationales Forum vor.“
Jetzt wurde Bukele sarkastisch: „Aha, Sie haben Bogotá die letzten 30 Jahre regiert? Sind Sie nicht Präsident von Kolumbien? Wir haben es geschafft, von 100 Morden pro 100.000 Einwohner auf eine einstellige Zahl zu kommen. Und das viel schneller.“ Petro antwortete mit einer Graphik und klärte auf, dass die Verringerung der Gewaltdelikte in erster Linie auf Bürgermeister Antanas Mockus in den 1990er Jahren zurückzuführen sei. *
Damit schien das Twitter-Duell beendet. Doch es war Petro, der Wochen später noch nachlegte, als bekannt wurde, dass ein Staatsanwalt in New York Funktionäre der Bukele-Regierung beschuldigt hatte, mit Bandenchefs heimlich über bessere Haftbedingungen im Austausch gegen weniger Gewalt verhandelt zu haben: „Besser als Pakte unter dem Tisch auszuhandeln, wäre es, die Justiz im Interesse des Friedens handeln zu lassen.“ Bukeles Antwort ließ nicht auf sich warten: „Was wollen Sie jetzt? Zuerst werfen Sie uns unmenschliche Behandlung vor, dann beklagen Sie sich über bessere Haftbedingungen. Im Übrigen verstehe ich Ihre Fixierung auf El Salvador nicht. Hat nicht Ihr eigener Sohn mit Kriminellen paktiert und dabei auch Geld** fließen lassen? Alles in Ordnung bei Ihnen zu Hause?“ Damit traf der Salvadorianer einen wunden Punkt. Es war zwar nicht der Sohn, sondern Bruder Fernando Petro, der heimlich im Gefängnis mit Kriminellen verhandelt hatte, um Friedensmöglichkeiten mit der organisierten Kriminalität auszuloten, doch der Punch saß. Geschlagen geben wollte sich Petro aber nicht. „Geschätzter Präsident Nayib, bei mir zu Hause ist alles bestens. Bei uns gilt die Unschuldsvermutung – ein universales Prinzip. Und hier setzt der Präsident nicht nach Gutdünken Richter ab und ein. Vielmehr kämpft er für eine stärkere und unabhängigere Justiz. In Kolumbien vertiefen wir die die Demokratie, wir zerstören sie nicht.“ Eine klare Anspielung auf Bukeles Eingriffe in den Rechtsstaat und den Austausch von unbequemen gegen gefügige Höchstrichter.
Bevor das öffentliche Waschen von Schmutzwäsche eskalierte, versuchte Bukele einen Schlusspunkt zu setzen: „Sie waren es, der mich angegriffen und sich in unsere internen Angelegenheiten eingemischt hat.“ Und in einem überzogenen Versuch, seine Verachtung zu zeigen, schloss er: „ Mir war nicht einmal Ihre Existenz erinnerlich.“ Damit endete vergangenen März das Twitter-Duell. Nicht auszuschließen, dass an der zweiten Staffel bereits gearbeitet wird.
* Kolumbianische Faktenchecker haben herausgefunden, dass beide mit übertriebenen Zahlen arbeiten. Bukele flunkert dabei mehr und unterschlägt, dass die Mordrate schon vor seiner Zeit als Präsident zu sinken begann.
** Gegen Petros Sohn gibt es tatsächlich Ermittlungen. Er soll gegen Geld Einfluss auf die Politik der Regierung versprochen haben.