Von Ralf Leonhard
Veraltet, naturfeindlich, klimaschädlich. So lautet der Befund der Umwelt-NGOs zum geplanten Mercosur-Abkommen der Europäischen Union. Denn der Pakt, der seit vier Jahren unterschriftsreif ist, forciere den Handel mit Rindfleisch, dem weitere Regenwaldflächen zum Opfer fallen würden, den Einsatz von in der EU längst verbotenen Pestiziden und Autos mit Verbrennungsmotoren. Greenpeace und Global 2000 empfehlen die Entsorgung des gesamten Vertragswerks. In Österreich sehen sich die Ökos in seltener Allianz mit dem Landwirtschaftsminister, dem es allerdings um die protektionistischen Interessen der heimischen Bauern geht. Nur die Industriellenvereinigung steht voll hinter dem Assoziierungsabkommen.
Österreich steht beim Assoziierungsabkommen der EU mit dem Mercosur auf der Bremse. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) hat am 20. März beim EU-Agrarministerrat in Brüssel einmal mehr seine Ablehnung kundgetan. Er berief sich auf einen bindenden Beschluss des österreichischen Nationalrats aus dem Jahr 2019. Damals hatten EU und Mercosur eine grundsätzliche Einigung für ein Assoziierungsabkommen erzielt.
„Nach wie vor gibt es seitens der EU-Kommission keine aussagekräftigen Antworten zu Importkontrollen oder Schutzmaßnahmen vor Wettbewerbsverzerrungen. Auch eine lückenlose EU-Herkunftskennzeichnung fehlt“, sagte Totschnig zur Begründung seiner Ablehnung.
Beim “EU-Mercosur Association Agreement” geht es um ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem Gemeinsamen Markt des Südens (Mercardo Común del Sur, kurz Mercosur). Das Bündnis umfasst die Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay und bildet mit 266 Millionen Einwohnern die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Schon 1995 hatten der Mercosur und die Europäische Union ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet, das als Vorstufe zum geplanten Handelsabkommen gesehen werden kann. Über das geplante, erweiterte Handelsabkommen wird seit 2000 zwischen der EU-Kommission und dem Mercosur verhandelt. Es soll Zollschranken für Agrarexporte aus dem Mercosur in die EU beseitigen. Für die EU geht es auch vorrangig um Markenschutz für europäische Produkte und die Steigerung des Exports von Industrieprodukten, allen voran Autos und Kfz-Teile.
Offensiv für das Abkommen tritt in Österreich nur die Industriellenvereinigung (IV) ein, die sich nicht nur Exportsteigerungen, sondern auch zusätzliche Arbeitsplätze verspricht, wenn die Zollschranken fallen oder stark reduziert werden. Igor Sekardi, als stellvertretender Leiter für den Bereich Internationales und Handel in der IV auch für das Thema Mercosur inhaltlich zuständig, verweist auf die extrem exportorientierte Wirtschaft Österreichs: „Wir haben 1,2 Millionen Arbeitsplätze hier, die durch Exporte gesichert werden.“ Davon 32.000, durch Exporte in den Mercosur-Raum. Das sei, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, mehr als in Deutschland. Nicht vergessen dürfe man Bergbauprodukte, „etwa die seltenen Erden, die wir hier für die grüne Transformation brauchen, wenn wir die selbst gesteckten Ziele in Europa erfüllen wollen. Stichwort Batterieproduktion für Autos.“ Die jährliche Zollersparnis für europäische Exporteure wird auf 4 Mrd. Euro geschätzt.
Die ablehnende Haltung von Landwirtschaftsminister Totschnig erklärt sich der IV-Vertreter mit den erwarteten Importsteigerungen von Rindfleisch und Geflügel: „Das ist ein Thema, mit dem man sehr leicht die Klientel, in dem Fall die Landwirte, politisch mobilisieren kann. Und ich glaube, das passiert gerade.“ Thomas Waitz, österreichischer Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, hat eine klare Haltung: „Für uns ist das Abkommen in der derzeitigen Form, wie es jetzt vorliegt, nicht beschlussreif.“ Seine Kritik richtet sich gegen die vorrangige Zielsetzung, das Handelsvolumen zu steigern: „Die Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Klima spielen in diesem Abkommen faktisch keine Rolle.“

Dem Vorwurf widerspricht Igor Sekardi. Beide Vertragspartner hätten sich verpflichtet, umwelt- und arbeitsrechtliche Standards nicht zu senken und das Pariser Klimaabkommen effektiv umzusetzen. Außerdem werde der Zoll auf Rindfleisch in der Europäischen Union von knapp über 40 auf knapp über sieben Prozent nur für 99.000 Tonnen jährlich gesenkt: „Das entspricht gerade 0,9 Prozent der Produktion in Brasilien. Da ist nicht davon auszugehen, dass das zu massiven Abholzungen führt.“ Und was Europa nicht abnehme, das würde China, aktuell der bedeutendste Handelspartner des Mercosur, gerne kaufen. Sekardi: „Den Chinesen ist die Nachhaltigkeit dort relativ wenig wichtig.“ Josef Fradler, Obmann des Vereins Nachhaltige Tierhaltung Österreich, hält der Beschwichtigung entgegen, dass der Anteil der importierten Edelteile des Rinds 15 bis 20 Prozent des Marktes ausmachen und heimische Rinderzüchter mit Schleuderpreisen ruinieren würde.
Thomas Waitz ist in einer Sache mit der Argumentation der IV einverstanden: „China würde sich freuen, wenn die Europäische Union sich hier gänzlich zurückzieht. Diesen Punkt, den unterstreiche und unterstütze ich durchaus. Und ich denke auch, dass eine Zusammenarbeit zwischen Demokratien auf diesem Globus erstrebenswert ist.“ Ein Abkommen auf Augenhöhe und „unter vernünftigen Kriterien“ sei daher anzustreben. Nur: „Was ist ein positives Abkommen?“
Waitz sieht in vielen EU-Mitgliedsstaaten potentielle Verbündete für ein Aufschnüren und Neuverhandeln des Assoziierungsabkommens: „Die Landwirtschaft zum Beispiel hat quer durch Europa ein Problem mit diesem Abkommen.“ Die angestrebte Ökologisierung der Landwirtschaft erzeuge höhere Produktionskosten: „Wenn wir nicht gleichzeitig Sorge tragen, dass vergleichsweise ähnliche oder vergleichbare Produktionsstandards auch für Waren gelten, die wir in die Europäische Union importieren, dann machen wir uns die eigene Landwirtschaft kaputt und dann helfen auch unsere hohen Standards nichts.“ Man dürfe nicht umwelt- und klimaschädliche Produktion auslagern, um dann Waren zu importieren, die mit Pestiziden belastet sind.
Im Sommer wird das Abkommen als zentrales Thema beim EU–Lateinamerika-Gipfel sein. Die Befürworter hoffen, dass unter der spanischen Präsidentschaft mehr Druck für eine Einigung gemacht werde. Dann gibt es da noch die bewährte Hintertür. Mit einer qualifizierten Mehrheit könnte der wirtschaftliche Teil des Abkommens vorläufig in Kraft gesetzt werden. Der politische Teil müsste warten.