Trotz der engen historischen Bindungen Kolumbiens zu Israel und den Vereinigten Staaten ist Präsident Gustavo Petro einer der entschiedensten Fürsprecher Palästinas und rief zum Frieden sowohl im eigenen wie auch im Ausland auf.
Unmittelbar nach der todbringenden Attacke der Hamas vom 7. Oktober verurteilten viele Staats- und Regierungschefs der Welt den Angriff der Hamas auf Zivilisten als barbarisch, ohne dabei die Besatzung zu erwähnen, und erklärten, Israel habe das uneingeschränkte „Recht, sich selbst zu verteidigen“. Während die israelische Regierung mit Zwangsvertreibung, dem Ruf nach ethnischer Säuberung und wahllosen Bombenangriffen reagiert hat, die schon mehr als 10.000 Menschen im Gazastreifen das Leben gekostet haben, die überwiegende Mehrheit davon Frauen und Kinder, ist klar geworden, dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die Hamas-Attacke unzureichend war.
Ein Staatsoberhaupt, das sich nicht an das Drehbuch hielt, war der kolumbianische Präsident Gustavo Petro, der sofort zu Friedensgesprächen und zur Anerkennung der palästinensischen Staatlichkeit aufrief. Ohne die Hamas explizit zu verurteilen, leitete Petro Kommentare weiter, die den „schrecklichen Tod von Israelis“ beklagten, warnte aber vor den Gefahren einer unverhältnismäßigen israelischen Reaktion. In den letzten Wochen ist Petro zu einem der schärfsten Kritiker Israels geworden.
Dass ein kolumbianischer Präsident sein Rednerpult nutzt, um die israelische Regierung zu kritisieren, stellt in einem Land mit tiefen gegenwärtigen und historischen Bindungen zu Israel einen deutlichen Kurswechsel dar. Angesichts der Verschlechterung der humanitären Lage im Gazastreifen haben auch andere lateinamerikanische Staatsoberhäupter begonnen, Israels Vorgehen anzuprangern und einen Waffenstillstand zu fordern: Bolivien brach die diplomatischen Beziehungen ab, Chile und Kolumbien riefen ihre Botschafter zu „Konsultationen“ zurück. In der gesamten Region, von Chile über Kolumbien bis Mexiko, kam es auch zu Protesten. Während die israelischen Medien und prominente jüdische Gruppen behauptet haben, diese Proteste aus Solidarität mit Palästina hätten ihre Wurzeln im Antisemitismus, zeigt ein genauerer Blick auf die Geschichte der israelischen Interessen und Interventionen in Lateinamerika ein komplexeres Bild.
Israel als Waffenlieferant im Kalten Krieg
Der Staat Israel selbst wäre ohne die Unterstützung Lateinamerikas vielleicht nicht gegründet worden. Abgesehen von Westeuropa und Nordamerika hat keine Region das zionistische Projekt in seinen Anfängen so sehr unterstützt wie Lateinamerika. Der regionale Block gab 13 der insgesamt 33 Stimmen für den Teilungsplan von 1947 ab, aus dem nach einem anschließenden Krieg der Staat Israel hervorging. Alle 18 in den Vereinten Nationen vertretenen lateinamerikanischen Regierungen stimmten kurz darauf auch für die Aufnahme Israels in die UNO.
Mit wenigen Ausnahmen hielt diese Unterstützung in den 1950er und 60er Jahren an, als der lateinamerikanische Block in der UNO Israel oft sogar noch mehr unterstützte als die westlichen Regierungen. Mit dem Aufkommen des Internationalismus der Dritten Welt, dem arabisch-israelischen Krieg von 1967 und dem Jom-Kippur-Krieg von 1973, in dem Kuba Syrien Truppen zur Verfügung stellte, begann sich das zu ändern. Vor dem Hintergrund der Kriege, die von vielen als Akte israelischer Aggression angesehen wurden, der zunehmenden Bedeutung des arabischen Öls und einer wachsenden Distanzierung von den Vereinigten Staaten im Rahmen einer globalen Bewegung der Blockfreiheit begannen die lateinamerikanischen Regierungen ihre anfängliche Haltung gegenüber dem Zionismus zu ändern.
Entscheidend für das Überdenken der Unterstützung des zionistischen Projekts war Israels aktive Rolle bei der Aufrechterhaltung der Gewalt in der gesamten Region in den 1970er und 1980er Jahren durch Waffenverkäufe, die direkte Ausbildung von Militärdiktaturen und die Finanzierung gewalttätiger konterrevolutionärer Bewegungen. Israel, das oft nur als Stellvertreter für die Sicherheitsinteressen der USA in der Region angesehen wurde, sprang mit diplomatischer und militärischer Unterstützung ein, wenn repressive Regime für die USA zu extrem wurden.
Dies war der Fall bei der chilenischen Diktatur unter General Augusto Pinochet. Nach dem 1976 verhängten Waffenembargo der USA gegen Chile wurde die israelische Regierung sofort zum größten Waffenlieferanten für das chilenische Regime. Außerdem bewaffnete und trainierte Israel Anfang der 1980er Jahre – teilweise auf Geheiß Washingtons – heimlich die nicaraguanischen Contras während ihres brutalen Krieges gegen die Sandinisten. Der damalige israelische Verteidigungsminister Ariel Sharon besuchte Honduras 1982 und traf sich direkt mit den von Israel finanzierten Contras.
In ähnlicher Weise schaltete sich Israel ein, nachdem die Vereinigten Staaten die brutale Militärdiktatur Argentiniens sanktioniert hatten. Von 1978 bis 1983 stellten die Israelis einer extrem antisemitischen argentinischen Diktatur, die in unverhältnismäßiger Weise jüdische Bürger:innen ins Visier nahm und Verdächtige in mit Hitlerbildern geschmückten Militärgefängnissen folterte, militärische Ausrüstung im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar zur Verfügung. Der argentinische Antisemitismus war so eklatant, dass Wissenschaftler die These aufstellten, Israel habe sich mit dem Regime verbündet, weil das eine Gelegenheit darstellte, mehr Juden, die vor der Gewalt im eigenen Land flohen, für den israelischen Staat zu gewinnen.
Abgesehen von den US-Waffenembargos lag die Anziehungskraft des israelischen Know-hows vor allem in der anhaltenden siedlerkolonialen Kontrolle der Palästinenser durch eine Reihe von Maßnahmen und Technologien, die sich an begierige autoritäre Staaten verkaufen ließen. Nirgendwo war der Export des israelischen Modells so offensichtlich wie in Guatemala, wo rechtsgerichtete Führer ausdrücklich zur „Palästinisierung“ der Maya-Bevölkerung aufriefen. Wichtige guatemaltekische Beamte, die für die ländliche Entwicklung zuständig waren, flogen nach Israel und kehrten beeindruckt von der Nutzung landwirtschaftlicher Kollektive (Kibbuzim) als Überwachungsinstrumente zurück, die sie in die 1982 von General Efraín Rios Montt verfolgte Kampagne der verbrannten Erde einbrachten. Israelische Beamte waren auch präsent, um bei der Umgestaltung des ländlichen Lebens im Namen der Guerilla-Bekämpfung zu helfen. In der Praxis terrorisierte die Kampagne die Dorfbewohner und strebte die endgültige Umgestaltung des Gesichts des indianischen Hochlandes an, „ein kleines Israel auf dem Altiplano“, wie George Black 1983 für die NACLA schrieb. Bewaffnete Dorfkomitees in israelischen Siedlungen lieferten das Modell für Guatemalas Zivilschutzpatrouillen, während zahlreiche in Israel hergestellte Uzi-Maschinenpistolen zum Massaker an Zehntausenden, zumeist Maya, beitrugen.
Israel lieferte auch Waffen an gewalttätige autoritäre Regime in El Salvador und Honduras sowie an Länder auf beiden Seiten gewalttätiger Grenzkriege wie Ecuador und Peru. Bis Mitte der 1980er Jahre hatten 18 lateinamerikanische Länder israelische Waffen gekauft, und auf die Region entfiel ein Drittel des gesamten israelischen Waffenhandels.
Heute hält die Unterstützung für Israel trotz seiner ständigen Einmischung in der Region an. Nach dem von den USA unterstützten Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya im Jahr 2009 leistete Israel Militärhilfe für das Putschregime in Honduras. In jüngster Zeit hat Israel Überwachungssoftware wie Pegasus für die Regierungen Mexikos, El Salvadors und der Dominikanischen Republik bereitgestellt, um Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen auszuspionieren – manchmal mit tödlichen Folgen.
In den letzten Jahren ist Israel auch zu einem Symbol für rechte Reaktionäre geworden. Eine wachsende evangelikale populistische Basis auf dem gesamten Kontinent schwenkt stolz israelische Flaggen und fordert, dass Länder ihre Botschaften nach Jerusalem verlegen. Wie die Geschichte Kolumbiens zeigt, haben der Krieg gegen den Terror und die Privatisierung der nationalen Sicherheitsstaaten auch der israelischen Regierung reichlich Gelegenheit geboten, weiterhin von der Unsicherheit in der Region zu profitieren und dazu beizutragen.
Privatisierte Sicherheitsstaaten schließen sich zusammen
Während die offiziellen Beziehungen bereits in den 1950er Jahren aufgenommen wurden, nahm die israelische Zusammenarbeit mit den kolumbianischen Streitkräften in den 1980er Jahren zu, als letztere begannen, Waffen von den israelischen Streitkräften zu kaufen. Zu dieser Zeit kämpfte der kolumbianische Staat gegen eine Vielzahl bewaffneter linker Guerillabewegungen wie die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC). Die kolumbianische Regierung stützte sich bei der Bekämpfung der Aufstände in hohem Maß auf inoffizielle paramilitärische Kräfte, nach dem Vorbild der israelischen Sicherheitsstrategie, bei der private militärische Auftragnehmer zur Überwachung subversiver Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden.
Als die Waffenverkäufe anliefen, bot Israel den kolumbianischen Paramilitärs auch Training in Israel an. Tatsächlich erhielt Carlos Castaño, der Mitbegründer der berüchtigtsten paramilitärischen Gruppe Kolumbiens, der Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC), in den 1980er Jahren über ein Jahr lang eine militärische Ausbildung in Israel. Er hat sogar erklärt, die Idee der Selbstverteidigungseinheiten sei „von den Israelis kopiert“ worden; „jeder Bürger dieses Landes ist ein potenzieller Soldat“.
Als die paramilitärischen Organisationen, die sich in den 1990er Jahren zur AUC zusammenschlossen, zu wachsen begannen, waren Israelis wie Yair Klein, ein ehemaliger Leutnant und Söldner, der die Sicherheitsfirma Spearhead gründete, zur Stelle, um sie direkt auszubilden und mit Waffen zu versorgen. Fünfzig der besten Studenten der zukünftigen AUC wurden zu weiterem Training nach Israel geschickt. Die AUC, die zwischen Ende der 1980er und Anfang der 2000er Jahre die meisten Menschenrechtsverletzungen in Kolumbiens langjährigem und komplexem Konflikt begangen hat, profitierte von einer engen Beziehung zum kolumbianischen Staat.
Während der beiden Regierungsperioden von Álvaro Uribe (2000-2008) unterhielt die Regierung, wie auch ihre paramilitärischen Pendants, enge Beziehungen sowohl zur israelischen Regierung als auch zu den privaten militärischen Auftragnehmern und Firmen, die nach den Worten des Wissenschaftlers und Aktivisten Les Field den „privatisierten Parallelarm des israelischen Sicherheitsstaates“ bilden. Unter der Regierung Uribe wurden die Ähnlichkeiten der von beiden Ländern geführten Kriege am deutlichsten. Kolumbien verfeinerte eine „rechtsradikale, konterrevolutionäre und indigenenfeindliche Politik, die von einem Staat betrieben wird, der sich auch als privatisierter Parastaat manifestiert“, so Field. Dabei spiegelte Kolumbiens „staatlich-paramilitärische-korporative Entrechtung“ afrodeszendenter und indigener Gemeinschaften in Urabá und Chocó die Unterstützung des israelischen Staates für private bewaffnete Siedler wider, die Palästinenser von ihrem Land im Jordantal vertreiben.
Diese Beziehung hat sich für Israel politisch ausgezahlt. Als im Jahr 2012 138 Länder in den Vereinten Nationen für die Anerkennung Palästinas stimmten, enthielt sich Kolumbien der Stimme. Als 2017 128 Länder dafür stimmten, die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt durch die Vereinigten Staaten zu verurteilen, enthielt sich Kolumbien erneut der Stimme. Bis der scheidende Präsident Juan Manuel Santos bei seiner Verabschiedung im Jahr 2018 Palästina heimlich anerkannte, war Kolumbien das einzige südamerikanische Land, das dies noch nicht getan hatte.
„Eines Tages werden sie uns um Verzeihung bitten“
Schon vor der jüngsten israelischen Belagerung des Gazastreifens hat sich Gustavo Petro für die Rechte der Palästinenser eingesetzt. In seiner jüngsten Kritik hat Petro jedoch direkt auf die israelische Hilfe für kolumbianische Paramilitärs Bezug genommen. Während er damit drohte, die diplomatischen Beziehungen zu Israel auszusetzen, weil „wir keinen Völkermord unterstützen“, twitterte er, die israelische Regierung werde eines Tages „uns um Verzeihung bitten für das, was ihre Männer in unserem Land getan haben, indem sie einen Völkermord ausgelöst haben“. Er bezog sich dabei direkt auf Yair Klein, der in Abwesenheit zu zehn Jahren Haft in einem kolumbianischen Gefängnis verurteilt wurde, aber in Israel in Sicherheit ist.
Petros Rhetorik war radikal: Nachdem der israelische Verteidigungsminister gesagt hatte, sie kämpften gegen „menschliche Tiere“, verglich er Israelis mit Nazis. Er prangerte auch den israelischen „Terrorismus“ an und entgegnete auf den Vorwurf des Antisemitismus, indem er sagte, er habe Hitler nie unterstützt „wie die Oligarchie und die Presse, die mich angreifen“. Am 31. Oktober gab Petro bekannt, er werde ein Treffen mit dem kolumbianischen Botschafter in Israel einberufen. „Wenn Israel das Massaker am palästinensischen Volk nicht stoppt“, twitterte er, „können wir nicht dort bleiben“, und spielte damit auf eine mögliche Aussetzung der diplomatischen Beziehungen an. Kolumbien plant außerdem die Eröffnung einer neuen Botschaft in Ramallah und hat versprochen, Hilfsgüter nach Gaza zu schicken.
Was in der Berichterstattung über Petros Antwort übersehen wurde, war seine wiederholte Betonung der Notwendigkeit ernsthafter Friedensgespräche, um eine Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen. Im Mittelpunkt von Petros Anprangerung der Rolle des Westens bei der Billigung der israelischen Bombardierung des Gazastreifens steht dessen Doppelmoral in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Während der ukrainische Widerstand gegen Russland – ein Widerstand mit erheblichen neonazistischen Elementen – uneingeschränkt unterstützt wurde, wurde die Unterstützung des palästinensischen Widerstands gegen die israelische Besatzung als antisemitisch eingestuft. Petro hat diesen Widerspruch in mehreren Reden hervorgehoben.
Als ehemaliger Guerillakämpfer der Bewegung des 19. April (M-19), der seine Waffen abgab, kennt Petro den Zusammenhang zwischen staatlicher Unterdrückung und politischer Gewalt sehr genau. Entscheidend für seine politische Anziehungskraft war sein Plan für einen „totalen Frieden“, der auf Strukturreformen und Verhandlungen mit den wichtigsten kolumbianischen Aufständischen beruht. Petro hat sich via Twitter direkt auf diese laufenden Verhandlungen bezogen: „Während die Welt auf den Krieg zusteuert, steuern wir auf den Frieden zu“.
In diesen Verhandlungen hat die kolumbianische Regierung anerkannt, dass ihr eigenes Handeln zu den Ungleichheiten, der Vernachlässigung und der Gewalt beigetragen hat, die zwar keine Rechtfertigung für Terror sind, aber einen wesentlichen Kontext für das Entstehen bewaffneter Aufstände bilden. Ausgehend von diesen Erfahrungen vertrat Petro die Auffassung, dass die israelische Besatzung beendet werden muss, wenn Frieden möglich sein soll. Kolumbianische Demonstrant:innen, die in der Dämonisierung der Solidarität mit Palästina ein Echo ihrer eigenen Erfahrungen sehen, als FARC-Sympathisant:innen abgestempelt zu werden, weil sie Campesinos vor Massakern verteidigt haben, haben bei ihren häufigen öffentlichen Protesten gegen israelische Gewalt ebenso argumentiert.
Die jüngsten Friedensprozesse in Kolumbien sind zwar unvollkommen und noch nicht abgeschlossen, doch sie enthalten wertvolle Lehren, die der Rest der Welt zusammen mit Petros kompromissloser Haltung bei der Verteidigung palästinensischen Lebens dringend beherzigen muss.
Gabe Levine-Drizin ist Doktorand der Geschichte an der New York University und beschäftigt sich mit der kolumbianischen Agrarreform und den Landbesetzungen in den 1960er und 70er Jahren.
Der Beitrag wurde auf https;//nacla.org erstveröffentlicht; Übersetzung: IGLA.