Historischer Volksentscheid gegen Ölförderung in Ecuadors Yasuní-Nationalpark

Von Angélica María Bernal und Joshua Holst

In einem parallel zu den Wahlen am 20. August abgehaltenen Referendum hat sich die Bevölkerung Ecuadors zum Schutz des artenreichen Yasuní-Nationalparks vor weiterer Ölförderung entschieden: ein enormer Erfolg für die indigenen und ökologischen Basisbewegungen gegenüber den Verteidigern des fossilen Status quo.

In einer historischen Entscheidung stimmten 59 Prozent der Bevölkerung für die Einstellung der Ölförderung im Yasuní-Nationalpark, einer der artenreichsten Regionen der Erde. „Das ist nicht nur für Ecuador beispielhaft, sondern für die ganze Welt“, so Alexandra Almeida von der Umweltorganisation Acción Ecológica mit Sitz in Quito.

Im Jahr 2008 hat Ecuador als weltweit erstes Land die Rechte der Natur in seiner Verfassung verankert. Jetzt haben es ecuadorianische soziale Bewegungen erstmals geschafft, pro-extraktivistische Politiker:innen mit einem nationalen Referendum zu umgehen, das fordert, das Öl aus Block 43 (auch bekannt als Yasuní ITT), einer Konzession im tiefsten Teil des geschützten Yasuní-Nationalwaldes im Amazonasgebiet, im Boden zu lassen. Während Bewegungen auf der ganzen Welt erfolgreich Bergbau-Moratorien erreicht haben, ist dies eine wichtige neue Strategie für Aktivist:innen im Bereich Umwelt- und indigene Rechte.

Eine gute Nachricht für die Biodiversität im Yasuní-Nationalpark; © Vince Smith via Flickr

Für German Ahua, den Präsidenten der Organisation der Waorani-Nationalität von Orellana, einer der drei Provinzen, in denen Yasuní liegt, eröffnet das Ergebnis des Referendums eine neue Ära für das Wohlergehen und die Zukunft der betroffenen Gemeinden im Amazonasgebiet. „Fünfzig Jahre Erdölförderung haben uns ruiniert“, sagte er und verwies auf Gesundheitsprobleme, Armut und einen Mangel an Ressourcen für Bildung. „Ohne freie, vorherige und informierte Zustimmung hat der Staat uns vieles zugemutet.“

Wenn das Öl in Yasuní im Boden bleibt, werden 410 Millionen Tonnen Treibhausgase – das entspricht den jährlichen Emissionen Frankreichs – nicht in die Atmosphäre gelangen. Die Abstimmung ist ein Triumph für die ökologischen und indigenen Bewegungen des Landes, deren Weg zum Sieg auf ein Jahrzehnt sozialer und politischer Konflikte über die Politik der Rohstoffindustrie zurückgeht. Vor dem Hintergrund einer sich verschlechternden allgemeinen Sicherheitslage, die durch die Ermordung eines Präsidentschaftskandidaten nur zehn Tage vor den Wahlen am 20. August besonders alarmierend war, agieren die Aktivist:innen für die Umwelt und die Rechte der indigenen Bevölkerung an vorderster Front in einem von zunehmender Unsicherheit und Gewalt geprägten Umfeld.

Yasuní im Blickpunkt

Der Yasuní-Nationalpark liegt zum Teil im angestammten Gebiet der Waorani. Er ist auch ein einzigartiges Gebiet, in dem sich Südamerikas Reichtum an Pflanzen-, Amphibien-, Vogel- und Säugetierarten überschneidet und das die höchste Artenvielfalt pro Quadratmeter der Welt aufweist. Mehr als 150 bedrohte Arten sind dort beheimatet. Drei Waorani-Gruppen –- die Tagaeri, Taromenane und Dugakeaeri – leben in freiwilliger Isolation und gelten als „unkontaktierte Völker“. Die Ölförderung hat zu Krankheiten, Ernährungsunsicherheit und Massakern in diesem Gebiet geführt.

Silvana Nihua, Präsidentin der Organisation der Waorani von Pastaza, hat die Auswirkungen aus erster Hand erfahren. „Als Frauen arbeiten wir hart, um unsere Kinder aus dem Wald zu ernähren. Früher gab es nicht so viele Ölverschmutzungen und Erdrutsche in den Bergen und Flüssen.“ Seit den 1950er Jahren hat die Erdölförderung die Nahrungsversorgung der Waorani dramatisch beeinträchtigt und darüber hinaus extreme soziale und kulturelle Auswirkungen gehabt. Jene, die in der Nähe von Ölquellen leben, wurden von den Ölfirmen abhängig, wenn es um Lebensmittel und Medikamente ging, obwohl selbst diese Zuwendungen nicht immer zuverlässig waren. „Sie erfinden Ausreden, um keine Lebensmittel mehr zu geben“, so Nihua. „Sie geben weder Lebensmittel noch Arbeitsplätze, und sie haben unsere Lebensweise beendet und keine Wiedergutmachung geleistet.“

Eine Waorani-Felegation berichtet 2019 vor der Nationalversammlung über die Lage im Yasuní; © Fernando Sandoval, Asamblea Nacional

Die Intensivierung der Erdölförderung mit neuen Ölkonzessionen in den letzten zwei Jahrzehnten brachte weitere Angriffe auf indigenes Land und die Rechte der Waorani-Gemeinschaften mit sich. Im Jahr 2019 errangen die Waorani im Anschluss an die von der Goldman-Umweltpreisträgerin Nemonte Nenquimo geführte Kampagne „Unser Regenwald steht nicht zum Verkauf“ einen bahnbrechenden juristischen Sieg und stoppten die Förderung in Block 22. Die Aktivitäten in den benachbarten Blöcken gingen jedoch weiter. Straßenblockaden im Waorani-Gebiet sind häufig, und letztes Jahr übernahmen Waorani-Gruppen im Rahmen eines von der nationalen indigenen Bewegung organisierten Streiks Raffinerien in der Umgebung des Yasuní.

Eine Geschichte von Ausbeutung und Gewalt

Die erstmals in den 1950er Jahren von Missionaren, die mit Shell zusammenarbeiteten, kontaktierten Waorani haben im Lauf ihres Lebens dramatische Veränderungen erlebt. Von den 60.000 Waorani, die vor der Ölförderung im ecuadorianischen Amazonasgebiet gelebt haben sollen, lebten in den 1980er Jahren nur noch schätzungsweise 2.500. Die Erdölförderung führte zu einer erheblichen Abwanderung der Gemeinschaften in die urbanisierten Städte des Amazonasgebiets, schürte Uneinigkeit und Konflikte und trieb die Jugend dazu, auf der Suche nach Arbeit ihre traditionellen Gebiete zu verlassen.

Die immer noch unkontaktierten Tagaeri und Taromenane wurden in den 1970er und 1980er Jahren durch eine Reihe von Ölkonzessionen nach Süden gedrängt, bis 1999 per Präsidialdekret die „Unantastbare Zone der Tagaeri-Taromenane“ (ZITT) eingerichtet wurde. Mit diesem Erlass wurden die bereits auf dem Gebiet der Taromenane bestehenden Ölkonzessionen nicht aufgehoben. In den 1990er und 2000er Jahren bauten die Ölgesellschaften Straßen und erleichterten so den illegalen Holzfällern den Zugang zum Yasuní-Nationalpark. Erdöl- und Holzfällerinteressen übten Druck auf die kontaktierten Waorani aus, um mit den Tagaeri und Taromenane in Kontakt zu treten, was zu einer Reihe von Morden führte, darunter der Brand eines Hauses im Jahr 2003, bei dem schätzungsweise 20 Menschen getötet wurden. Konfrontationen zwischen unkontaktierten Gruppen und Holzfällern führten 2008 zu weiteren Todesfällen, als die Taromenane ein illegales Holzfällerlager angriffen, wobei mindestens ein Holzfäller getötet wurde und es Berichte über Rachemorde durch die Holzfäller gab.

Laut Almeída von Acción Ecológica verschlimmerten sich die Gewalt und die Rechtsverletzungen im Jahr 2013, als die Regierung versuchte, die Ölförderung im Yasuní zu eröffnen. „Das Umweltministerium hat die Karten neu gezeichnet und das Gebiet der unkontaktierten Gruppen weiter nach Süden verlegt“, erklärt sie. Im selben Jahr kam es bei Auseinandersetzungen zu einem bewaffneten Massaker an 20 bis 30 Taromenane.

„Die Erdölunternehmen sagen, es handle sich um Konflikte zwischen den Wao [Waorani], aber dann geben sie den Gemeinden (in der Nähe der Erdölquellen) alles, was sie brauchen, um die Morde zu begehen“, sagte Opi Nenquimo von der Ceibo-Allianz, einer multinationalen indigenen Organisation, die sich für die Verteidigung des Amazonasgebietes einsetzt. Zusammen mit anderen indigenen Anführern patrouilliert Nenquimo auf indigenem Gebiet, um illegale Holzfäller und Minenarbeiter zu dokumentieren und zu entfernen. Bei diesen Auseinandersetzungen sind über 60 Menschen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Frauen und Kinder der Tagaeri und Taromenane. Jüngste Erdölerweiterungen und neue Ölbohrungen brachten unkontaktierte Gruppen in die Nähe von Raffinerien, um den Lärm und die Umweltverschmutzung zu untersuchen, die die Tiere, auf die sie als Nahrung angewiesen sind, vertreiben. Im April 2023 wurden vier weitere Waorani in der Nähe einer neuen Erdölanlage getötet.

„Geschützter“ Wald

Der Yasuní ist seit 1979 ein geschütztes Gebiet. Was genau „geschützt“ bedeutet, hat sich jedoch im Laufe der Zeit geändert. Im Jahr 2007 startete Präsident Rafael Correa einen Plan zur Beschaffung von über drei Milliarden Dollar für den „Schutz“ von Block 43, der in Anlehnung an die Unantastbare Zone Tagaeri-Taromenane in Yasuní ITT umbenannt wurde. Die Initiative wurde als Versuch bezeichnet, den Wert der Ausbeutung des Blocks durch einen internationalen Fonds zu kompensieren, um die entgangenen Einnahmen aus fossilen Brennstoffen zu ersetzen, und wurde als wegweisender Plan gefeiert, um das Öl im Boden zu lassen. Der vorgeschlagene Schutz war jedoch unvollständig: Während sich Yasuní ITT nur auf Block 43 bezieht, überschneiden sich auch mehrere andere Blöcke mit der Unantastbaren Zone. Nachdem wohlhabende Nationen das Geld nicht beisteuerten, begann Correa mit Plänen zur Ausbeutung des Yasuní-Nationalwaldes. Obwohl es nach der Verfassung von 2008 illegal war, in geschützten Gebieten Bergbau zu betreiben, beantragte Correa 2013 bei der Nationalversammlung, den Yasuní zu einem „Gebiet von nationalem Interesse“ zu erklären und damit von den verfassungsrechtlichen Schutzbestimmungen auszunehmen.

Sofort bildeten soziale Bewegungen eine Koalition, die als Yasunidos bekannt wurde, und sammelten Unterschriften für ein nationales Referendum zum Verbot der Ölförderung in Block 43. Mitglieder von Yasunidos wurden festgenommen und inhaftiert, und bei der Niederschlagung des Widerstands wurden Demonstrant:innen durch Gummigeschoße und Tränengaskanister verletzt. Fast die Hälfte der von ihnen gesammelten Unterschriften wurde in einem Verfahren, das die Yasuindos als korrupt bezeichneten, für unzulässig erklärt. Nach zehn Jahren juristischer Auseinandersetzungen entschied das Gericht am 9. Mai 2023, dass die Unterschriften der Yasunidos gültig waren und das nationale Referendum über Block 43 stattfinden konnte.

Ja zum Yasuní

Etwa eine Woche nach dem lang erwarteten Gerichtsurteil löste der rechtsgerichtete Präsident Guillermo Lasso vorgezogene Neuwahlen aus. Der Veruntreuung beschuldigt und in Verbindungen zu Drogenkartellen verwickelt, löste er die Nationalversammlung auf, bevor sie ihn anklagen konnte, und machte dabei von einer nie zuvor angewandten Verfassungsklausel Gebrauch, die als „muerte cruzada“ bekannt ist. Die vorgezogenen Wahlen wurden für den 20. August angesetzt, wobei auch über das Schicksal des Yasuní abgestimmt wurde.

Die Yasuní „Sí“-Kampagne, die sich in einem prekären Spannungsfeld zwischen den Correa-nahen Politiker:innen auf der Linken und den Wirtschaftskonservativen auf der Rechten bewegte, die beide in hohem Maße auf die Erdölausbeutung setzten, brachte ein breites Spektrum von Bevölkerungsschichten zusammen, darunter Umwelt-, indigene, feministische, Jugend- und Studentenbewegungen und -kollektive sowie prominente Aktivist:innen, Intellektuelle und Medienpersönlichkeiten. Durch eine weitreichende Graswurzel- und Social-Media-Kampagne, die Märsche, öffentliche Kunst, Lieder und Videos unter dem Motto #SialYasuni umfasste, lenkte die Kampagne die nationale Debatte effektiv auf die schrecklichen Auswirkungen der Umweltverschmutzung und die Bedeutung des Naturschutzes für zukünftige Generationen und die Welt.

Im Rahmen der Kampagne wurden auch Argumente zu den Gewinnen aus der Erdölförderung und den möglichen Verlusten, wenn das Öl nicht gefördert wird, angezweifelt. Mateo Villalba, ehemaliger Präsident der ecuadorianischen Zentralbank, ist der Ansicht, dass die Argumente der Befürworter der Erdölförderung die Höhe der entgangenen Einnahmen aufblähen und gleichzeitig Angstdiskurse anheizen. Stattdessen glaubt Villalba, dass der Verbleib des Yasuní-Öls im Boden genau der Anstoß wäre, „den die ecuadorianische Wirtschaft braucht, um darüber nachzudenken, wie sie ihre öffentlichen Finanzen, ihre Produktion und ihre sozio-politischen Institutionen für eine Zukunft nach dem Erdöl umgestalten kann“. Selbst wenn der Yasuní weiter ausgebeutet würde, wären die Ölreserven Ecuadors einer geologischen Studie zufolge bis 2029 weitgehend erschöpft.

Die Bewohner des Amazonasgebiets machen nur fünf Prozent der ecuadorianischen Bevölkerung aus, und viele von ihnen verfügen nicht über den für die Wahlteilnahme erforderlichen Ausweis. Doch in den letzten Tagen vor dem Referendum schickten Gruppen aus dem Amazonasgebiet Karawanen in die großen Städte, um für den Yasuní zu werben. Ihre Botschaft war klar. Wie die Waorani Nihua es ausdrückte: „Wer ist es, der tötet? Es sind die Bergbauindustrie und der Staat… Im Interesse unserer Kinder müssen wir also mit ‚Sí‘ für Yasuní stimmen“.

Ecuadors historischer Referendumsentscheid steht an einem wichtigen Scheideweg. Da kein Kandidat die Mehrheit erringen konnte, kommt es im Oktober zu einer Stichwahl zwischen der Linken Luisa González von Correas Partei der Bürgerrevolution und dem konservativen Geschäftsmann Daniel Noboa. Es war beachtlich, dass die Abstimmung über Yasuní vor dem Hintergrund einer Sicherheitskrise erfolgreich war, die durch zunehmende Bandengewalt im Zusammenhang mit konkurrierenden Drogenhändlergruppen und einem schockierenden politischen Mord gekennzeichnet war. Die Auswirkungen des Referendums werden die bevorstehende Stichwahl prägen und einen globalen Präzedenzfall für die direkte Demokratie im Hinblick auf die Klimakrise und einen gerechten Übergang schaffen.

Auch wenn das Ergebnis des Referendums ein Sieg ist, haben soziale Bewegungen und gemeinnützige Organisationen darauf hingewiesen, dass sie in Bezug auf seine Umsetzung wachsam sein müssen1. Darüber hinaus greifen sieben weitere Erdölblöcke in den Yasuní-Nationalwald ein und 13 weitere umgeben ihn. Die Abstimmung über den Yasuní fand parallel zu einer Reihe erfolgreicher Volksabstimmungen statt, die das Biosphärenreservat Chocó Andino in den Anden (mit einer Mehrheit von 68 %) ebenfalls vor dem Bergbau schützen.

Die Unterstützung der Bevölkerung für den Schutz der kulturellen und natürlichen Ressourcen Ecuadors darf nicht unterschätzt werden. „Wir haben Kinder, die es verdienen, das zu genießen, was wir genossen haben: die Tiere, die Fische, die Bäume, das saubere Wasser, die Wasserfälle“, sagte Nihua. „Das Öl bleibt in der Erde. Das haben wir entschieden.“


1 Trotz des klaren Ergebnisses teilte Energieminister Fernando Santos Alvite nur drei Tage nach dem Referendum mit, die Regierung werde vorerst nicht an das Ergebnis des Referendums gebunden sein. In der Provinz, in der sich der Nationalpark befindet, habe die Mehrheit der Menschen dafür gestimmt, das Öl in der Region weiter zu fördern.

Angélica María Bernal lehrt Politik an der University of Massachusetts-Amherst. Sie ist die Autorin von Beyond Origins (Oxford University Press, 2017) und Herausgeberin von De la Exclusión a la Participación (Abya Yala Press, 2000). Derzeit arbeitet sie an einem Buch über den Widerstand von Frauen und die Politik der Rohstoffgewinnung in Ecuador.

Joshua Holst ist ein angewandter visueller Anthropologe, der sich auf Globalisierung und Konflikte spezialisiert hat. Er hat für Nichtregierungsorganisationen und zwischenstaatliche Organisationen in Westafrika, Südostasien und Nord- und Südamerika gearbeitet. Für weitere Informationen: www.rethinkpolitics.org/joshua-holst/

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